VI.
Drei Gedichte aus der Finnsage.
1. Gegenüber der grossen Anzahl von Texten, die sich auf Conchobar und seine berühmten Zeitgenossen beziehen, enthalten die ältesten irischen Handschriften verthältnissmässig nur wenige Texte, die dem zweiten Hauptsagenkreise angehören, in welchem Finn mac Cumaill und Ossín[1] die bekanntesten Namen sind. Für unsere Kenntniss altceltischer Cultur sind diese Sagen nicht alle von gleichem Werthe; den meisten fehlt jene realistische Detailschilderung alter Lebensverhältnisse, welche den Sagen der ersten Gattung einen so hohen Werth verleiht. Wohl aber verdienen die merkwürdigen politischen Verhältnisse, welche den Hintergrund des zweiten Sagenkreises bilden, und die nichts weniger als einen mythologischen Charakter an sich tragen, sorgfältige Beachtung. Nach der Tradition soll Finn im Jahre 283 p. Chr. erschlagen worden sein. Mit der Sage sind auch hier mythische Elemente verwoben.
2. Die Finnsage findet sich bekanntlich nicht nur in Irland, sondern auch in Schottland. Die ältesten Quellen der Finnsage hat Irland aufzuweisen, denn hier lässt sie sich handschriftlich [ 147 ]bis in den Anfang des 12. Jahrhunderts und drüber hinaus, in Schottland nur bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Als älteste irische Quellen sind mir bis jetzt bekannt:
1) Das Lebor na hUidre (Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrh.) mit der „Fotha Catha Cnucha“ („The cause of the Battle of Cnucha“) betitelten, nüchternen Erzählung von Finn’s Geburt, publicirt und übersetzt von Hennessy in der Revue Celtique, II, p. 86–93.
2) Das Buch von Leinster (Mitte des 12. Jahrh.) mit fünf einzelnen Gedichten, die dem Finn selbst, und dreien, die seinem Sohne Ossín zugeschrieben werden. O’Curry, On the Ms. Mat., p. 302. 304, hat eins der letzteren übersehen.
3) Das Buch von Ballymote, geschrieben um 1391, und das Buch von Lecan, vom Jahre 1416, mit vier anderen einzelnen Gedichten, von denen zwei dem Finn, das dritte dem Fergus, einem zweiten Sohne Finn’s, das vierte dem Cailte, einem Vetter Finn’s zugeschrieben werden. Die ersten beiden Gedichte finden sich nur im Buch von Lecan[2], die anderen beiden in beiden Handschriften. So nach O’Curry, a. a. O. p. 303. 306.
4) Der Psalter of Cashel, ein Bodlejan Manuscript vom Jahre 1453, mit der „Macgnimartha Finn“ („The boyish exploits of Finn“) betitelten Erzählung, publicirt und übersetzt von O’Donovan in den Transactions of the Ossianic Society, IV, p. 281–304.
5) Das Buch von Lismore, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (O’Curry, a. a. O. p. 199), mit dem „Agallamh na Seanórach“ („Dialogue of the Ancient Men“), einem Gespräch zwischen Oisín, Cailte und S. Patrick (in Versen), von welchem O’Curry a. a. O. p. 309 ein Stück in Uebersetzung, p. 594 den irischen Text dazu mitgetheilt hat. Vgl. On the Mann. and Cust. III p. 703.
6) Die Handschriften, welche Cormac’s Glossar enthalten, edirt von Stokes (Three Irish Glossaries, London 1862; Cormac’s Glossary translated, Calcutta 1868). Ein Fragment desselben, [ 148 ]das leider nur ein kleines Stück vom Ende (die Buchstaben t und u) enthält, findet sich im Buch von Leinster. Vollständig bietet den Text das Leabar Breac aus dem Ende des 14. Jahrhunderts. Aber innere Gründe sprechen dafür, dass dieses Glossar „was written, if not in the time of Cormac, at least within a century or so after his death“ (Stokes, Three Ir. Gl. Preface p. xviii). Cormac, König, später Bischof von Caisel (d. i. Castellum), lebte 831–903 p. Chr. In diesem Glossar ist s. v. orc tréith, eines der vielen Abenteuer erzählt, die Finn auf Jagdexpeditionen erlebt (Stokes, a. a. O. p. 34, Pref. p. xlvi).
3. Erst dann setzt die älteste schottische Quelle ein, das bekannte Buch des Dean of Lismore, aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, zum grössten Theile herausgegeben und übersetzt von Th. MacLauchlan, mit einer Einleitung von Will. F. Skene, Edinburgh 1862. Von dem Inhalte dieser Handschrift gehören drei und zwanzig Gedichte der Finnsage an. Von diesen werden neun durch besondere Ueberschrift dem Ossin zugeschrieben, zwei dem Fergus, eins dem Keilt mac Ronane (irisch Cailte mac Ronáin). Bei einigen ist der einst vorhandene Name des Autors nicht mehr lesbar; doch soll z. B. auch das S. 58 des gälischen Textes, S. 80 der englischen Uebersetzung mitgetheilte Gedicht wahrscheinlich von Ossin herrühren, denn der Dichter nennt Fynn mac Cowil als seinen Vater. Die übrigen Gedichte sind anonym. Finn selbst tritt in dieser Handschrift nicht als Dichter auf. Philologisch ist diese Handschrift auch deshalb von grossem Werthe, weil sie die Aussprache der damaligen Zeit repräsentirt: „the language is not written in the orthography used in writing Irish, and now universally employed in writing Scotch Gaelic, but in a peculiar kind of phonetic orthography, which aims at presenting the words in English orthography as they are pronounced" (Skene, Introd. p. vii).
4. Ob diese schottischen Gedichte sämmtlich auf schottischem Boden entstanden sind, oder ob etwa einzelne auf irische Originale zurückgehen, müssen wir für jetzt unentschieden lassen. An die letztere Möglichkeit dürfen wir aber [ 149 ]deshalb denken, weil das gälische Gedicht, welches Skene, Introd. p. lxxxiv, als das älteste auf schottischem Boden aus einem Manuscript „written prior to the year 1500“ (?) mittheilt, weiter nichts als eine bis auf die Glossen getreue – sei es mittelbare oder unmittelbare – Copie des einen der drei irischen Gedichte ist, welche im Buch von Leinster dem Ossin zugeschrieben werden[3]. Dazu kommt, dass die Gedichte im Buch des Dean of Lismore wenigstens nicht alle in der Form entstanden sein können, in welcher sie uns daselbst vorliegen. Zu dieser Vermuthung veranlasst namentlich die Unregelmässigkeit der metrischen Form. Sogar MacLauchlan giebt am Ende seines Buchs (p. 130) zu, viele der Gedichte müssten, wenn die metrische Form zur Geltung kommen soll, mit irischer Betonung gelesen werden: „Many of these pieces will not read as poetry at all, unless read in accordance with the Irish method of accentuation.“ Ich möchte namentlich auch auf die Unregelmässigkeit der Silbenzahl in den Vershälften aufmerksam machen. Endlich trägt Skene wenigstens in den Additional Notes (z. B. p. 147) nach, dass mehrere der Gedichte in irischer Version vorhanden sind.
Auf den Altersunterschied zwischen den irischen und den schottischen Quellen glaubte ich aber auch deshalb eingehen zu müssen, weil man aus Skene’s Introduction leicht die irrige Vorstellung bekommen könnte, als ob es mit den irischen Quellen für die Finnsage eigentlich nicht weit her wäre. Skene schreibt leidenschaftslos, und ist zu Zugeständnissen bereit, aber er ist schon desshalb nicht unparteiisch, weil er, wenigstens damals, als er die erwähnte Introduction schrieb, die Quellen für das irische Alterthum nicht genau genug kannte. Er erwähnt p. lxii, dass in Irland elf Gedichte nachgewiesen sind in Quellen, die älter sind, als das 15. Jahrhundert, aber er hält sich doch viel mehr daran, dass allerdings fast alle Texte, die in den Transactions of the Ossianic Society (6 volumes, Dublin 1853–1858) [ 150 ]veröffentlicht worden sind, nicht über Macpherson’s Jahrhundert hinausgehen. Hierbei hat er aber p. lxi bei der Inhaltsangabe des 1. Bands eins der Gedichte aus dem Buch von Leinster (12. Jahrh.), und p. lxii bei der Inhaltsangabe des 4. Bands die oben S. 147 erwähnte Erzählung aus dem Psalter of Cashel vom Jahre 1453 übersehen.
5. In Bezug auf die verschiedenen Arten der Texte, welche zur Finnsage gehören, verweise ich auf O’Curry, On the Ms. Mat. p. 301 ff. Wir heben hervor, dass in diesem Sagenkreise die poetischen Texte mehr hervortreten. Merkwürdiger Weise sind die Helden desselben zugleich die Sänger ihrer eignen Thaten. Als die älteste Schicht von Gedichten sind diejenigen zu bezeichnen, in denen Finn, Ossín, Fergus oder Cailte erzählend oder klagend allein auftreten. Denn ursprünglich theilte Ossín die Dichterehre mit den anderen Helden, und erst allmälig ist er der alleinige Sänger seiner Zeit geworden. Charakteristisch in dieser Beziehung ist, dass in den ältesten irischen Quellen die meisten Gedichte (sieben von zwölf) dem Finn und nur drei dem Ossín, dagegen im Buch des Dean of Lismore kein einziges dem Film, und fast alle dem Ossín zugeschrieben werden. Eine zweite Schicht von Gedichten bilden die Dialoge zwischen Ossín und S. Patrick, in denen die christliche und die heidnische Zeit einander entgegengesetzt werden. Nach der Tradition nämlich soll Ossín die neue Zeit, die mit S. Patrick beginnt, als alter, gebrochner Mann erlebt haben. Im „Agallamh na Seanórach“ (s. oben S. 147), bis jetzt dem ältesten Texte der Art, hat Ossín in Cailte noch einen Genossen aus der alten Zeit. Das Buch des Dean of Lismore enthält mehrere solche Gedichte, und in den Transactions of the Ossianic Society treten die meisten – leider nicht aus alten Quellen stammenden – „Fenian Poems“ in dieser Form auf.
6. Für den Altersunterschied der zwei Hauptsagenkreise ist sehr interessant, dass zwischen S. Patrick und Cuchulainn eine weit grössere Kluft in der Sage fühlbar ist. Denn auf S. Patrick’s Bitte lässt Gott den Cuchulainn aus der Hölle her[ 151 ]aufsteigen und dem König Loegaire (der sich nur, wenn Patrick soviel vermöchte, bekehren lassen will) in seiner ganzen Heldenherrlichkeit auf dem Wagen mit den berühmten Schlachtrossen erscheinen. „Patrick’s Macht aber war gross, nämlich den Cuchulainn zu erwecken, nachdem derselbe neun mal fünfzig Jahre in der Erde gewesen war“. So in der Siabar-charpat Conculaind („The demoniac Chariot of Cuchulaind“) betitelten Sage, welche O’Beirne Crowe im Journal of the R. Hist. and Arch. Ass. of Irel. 1871 p. 371 ff. aus dem Lebor na hUidre publicirt und übersetzt hat. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass die oben S. 147 erwähnte, von O’Donovan aus dem Psalter von Cashel edirte Erzählung von Finn’s Kraftstücken, die er als Knabe vollbracht haben soll, nur eine Nachbildung dessen ist, was Fergus von dem Knaben Cuchulainn im Táin Bó Cualgne erzählt (s. Leb. na hUidre p. 59 Na macgnimrada inso sís). Abhängigkeit der „Fenian Tales" vom ersten Hauptsagenkreise wird sich bei näherer Untersuchung noch öfter nachweisen lassen. Auch dieselben mythologischen Elemente, denen wir im ersten Sagenkreise begegnen, treten in der Finnsage wieder auf.[4] Daraus folgt natürlich nicht, dass Finn überhaupt keine historische Person sei, und nie gelebt habe. Sehr energisch für den historischen Charakter ist O’Curry eingetreten, On the Ms. Mat. p. 303: „ . . that he existed about the time at which his appearance is recorded in the annals, is as certain as that Julius Caesar lived and ruled at the time stated on the authority of the Roman historians.“ Das ist zuviel gesagt.
7. Dürfen wir die dem Finn, Ossín, Fergus, Cailte zugeschriebenen Gedichte für echt halten, d. h. sind sie wirklich die poetischen Erzeugnisse dieser Männer? Wenn im Buch des Dean of Lismore sogar die Dialoge zwischen Ossín und S. Patrick dem Ossín selbst zugeschrieben werden, so wird an diese Autorschaft des Ossín wohl niemand ernstlich glauben. Wenn aber Rev. Clerk, der neueste Herausgeber der „Poems of Ossian" (Edinburgh 1870) p. xxxviii für die Ansicht eintritt, dass [ 152 ]sogar diese, zuerst durch Macpherson bekannt gewordenen Gedichte weder in neuerer Zeit, noch im Mittelalter, sondern in einer noch älteren Zeit entstanden sind, so könnte man wenigstens a priori mit viel mehr Recht für möglich halten, dass unter den ältesten irischen Gedichten, die dem Finn und Ossín zugeschrieben werden, dieses oder jenes in so alte Zeit zurückginge. Wir müssen es dem um das irische Alterthum hochverdienten O’Curry, der aber keine linguistischen Kenntnisse besass, zu Gute halten, wenn er fast dieser Ansicht gewesen zu sein scheint (so On the Ms. Mat. p. 302, vgl. jedoch p. 301). Nur ein linguistisch gebildeter Mann kann die volle Wucht des Arguments empfinden, dass wir dem dritten Jahrhundert nicht die grammatischen Formen des 11. oder 12. Jahrhunderts zuschreiben dürfen. Dass die im Buch von Leinster aufbewahrten Gedichte ursprünglich in älterer Sprachform abgefasst waren, ist nicht anzunehmen. Denn nur in der Form, in der sie uns vorliegen, sind sie regelrecht gebaute metrische Kunstwerke. Sowie wir eine alterthümlichere Form einführen wollten, würde der metrische Bau zerstört werden. Andrerseits werden diese Gedichte gewiss älter, als das 12. Jahrhundert sein. Auf den Umstand, dass das eine derselben durchweg glossirt ist, möchte ich nicht zuviel Gewicht legen. Die Glossen waren nicht alter Formen, sondern seltner Wörter wegen nöthig, und dass seltnere Wörter gebraucht sind, kann auch auf der Laune des Dichters beruhen.
Wie ich mir denke, dass Finn, Ossín zu Sängern geworden sind, habe ich bereits oben S. 63 angedeutet. Zu meiner Hypothese stimmt, dass die Ueberschriften der alten Gedichte lauten: Ossín oder Finn cecinit. Dies entspricht genau dem „conid and ro chachain Conchobur inso“ (p. 140) und ähnlichen Wendungen, durch welche so oft Gedichte, die der Prosaerzählung einverleibt oder angehängt sind, eingeleitet werden. Von diesem cecinit aus ist nur ein kleiner Schritt zu dem „Auctor hujus Ossín“, wie wir im Buch des Dean of Lismore lesen. Sehr interessant ist, dass nach Keting’s Bericht über die Fianna, den O’Curry On the Mann. and Cust. II p. 381 mittheilt, niemand in dieses Corps aufgenommen werden konnte, der nicht erfahren [ 153 ]war in der Dichtkunst. Ob dieser Zug der Sage Ossín’s Dichterruhm zur Voraussetzung oder zur Folge hat, ist schwer zu entscheiden.
8. Dass die Schotten die Finnsage im 16. Jahrhundert besassen, dass dieselbe heute noch im Munde des Volkes lebt, dass sie in den Bergen und Thälern Schottlands localisirt ist, dass Macpherson nicht nach Irland zu gehen brauchte, um die „ossianischen Gedichte“ oder die Stoffe zu denselben zu holen, muss zugestanden werden. Eine andere Frage dagegen ist, ob die Finnsage ursprünglich in Irland oder in Schottland zu Hause war. Selbstverständlich kann Finn nur entweder ein Ire oder ein Schotte gewesen sein. In der irischen Sage, die wir also bis ins 11. Jahrhundert handschriftlich zurückverfolgen können, ist Finn ein Ire. Wichtiger ist jedoch in dieser Frage, dass uns Finn auch in den Gedichten, die sich im Buche des Dean of Lismore finden, nicht als Schotte, sondern als Ire entgegentritt, und dass daselbst nicht Schottland, sondern Irland als Schauplatz seiner Thaten bezeichnet wird. Der Sagenstoff ist also unzweifelhaft irischen Ursprungs. Die Abhängigkeit der schottischen Sage von der irischen äussert sich auch in äusseren Dingen: hier wie dort treten neben Ossín auch Fergus und Cailte als Sänger oder Verfasser von Liedern auf; hier wie dort wird Ossín mit S. Patrick zusammengebracht.
9. Anderer Ansicht ist Skene. Er meint, dass die Schotten die Finnsage unabhängig von den Iren besitzen. Anstatt Finn in den Vordergrund zu stellen, geht er von jenen Kriegerschaaren (fiann, fianna) aus, als deren oberster Befehlshaber eben Finn erscheint. Indem er die irische Tradition als illusorisch und unsicher verwirft — hierin viel zu weit gehend — , hält er fiann, fianna für den Namen einer Rasse, welche den Scoti in Irland und Schottland unmittelbar vorausgegangen sei: „they were of the population who immediately preceded the Scots in Erin and in Alban, . . they belong to that period in the history of both countries, before a political separation had taken place [ 154 ]between them“ (p. lxxviii). Den einzigen positiven Anhalt für diese sehr kühnen Behauptungen, die nach meiner Ansicht nicht dazu angethan sind, der irischen Tradition vorgezogen zu werden, bilden einige Stellen ans einem späteren irischen Gedichte, in welchen „Fians of Alban“, „Fians of Breatan“, „Fians of Lochlin“ erwähnt werden. Aber fiann kann unmöglich Gentilname sein, denn es ist ein Substantivum feminini generis und wird sehr oft im Singular gebraucht. So findet sich z. B. in Cormac’s Glossar s. v. orc tréith (wo, wie oben bemerkt, eine Sage erzählt wird) Nom. S. in fiann. Dat. cona féinn, Acc. la feinn; daneben Gen. Pl. do fulang na fiann. Ebendaselbst kommt das davon abgeleitete fénnid vor, im Sinne von champion, Krieger. Die Iren fassen fiann im Sinne von national militia, standing army auf. Die interessanten politischen Verhältnisse, die hierbei in Betracht kommen, zu untersuchen, ist hier nicht der Ort.
10. Die irische Sage ist gewiss früh nach Schottland gekommen. Verkehr zwischen Schottland und Irland hat von jeher bestanden, wie uns die ältesten irischen Sagen bezeugen. Aber es wird längere Zeit gedauert haben, bis die Sage in Schottland so heimisch wurde, dass das schottische Volk an Finn als den Helden seiner eigenen Vorzeit glaubte. In den Gedichten, welche das Buch des Dean of Lismore enthält, kann ich diesen Glauben nicht ausgeprägt finden. Die Umgestaltung, welche die irische Sage in Macpherson’s Gedichten erlitten hat, können wir hier nicht erörtern. Einen Punkt haben wir bereits oben S. 65 hervorgehoben: die Finnsage ist vermengt mit älteren irischen Sagenkreisen, die gleichfalls ihren Weg nach Schottland gefunden hatten. Nur eine genaue sachliche Analyse von Macpherson’s Gedichten, mit gehöriger Rücksichtnahme auf Sprache und metrische Form, kann uns zu einem objectiven Urtheile über diese so eigenartige literarische Erscheinung verhelfen. Einen bedeutenden historischen Werth darf man diesen Gedichten nicht absprechen, denn sie haben im vorigen Jahrhundert mächtig auf bedeutende Geister eingewirkt. Ihr sachlicher Werth wird aber darin bestehen, dass sie eine letzte Phase [ 155 ]celtischer Sage, Sprache und Poesie repräsentiren. Was hierbei auf Rechnung des Diaskeuasten Macpherson zu setzen ist, ist immer noch nicht endgültig nachgewiesen. Ungerechtfertigt ist, jede Abweichung von der älteren, irischen Form der Sage als „forgery“ Macpherson’s zu brandmarken. Ebensowenig darf man Macpherson’s Gedichten an und für sich zum Vorwurf machen, dass sie nicht die älteste, sondern eine spätere Gestalt der Sage bieten, und dass der Grundstock der Sage irischen Ursprungs ist. Wollte man solche Punkte hier als die allein massgebenden betrachten, so müsste z. B. auch unser Urtheil über Wolfram von Eschenbach’s Parzival wesentlich herabgestimmt werden.
Der Name „Ossianische Gedichte“ ist Terminus technicus geworden für die zur Finnsage gehörigen Gedichte. Wir behalten ihn bei, obwohl, wie wir gesehen haben, nur wenige der ältesten Gedichte dem Ossín selbst zugeschrieben werden.
11. Die drei ossianischen Gedichte, die ich hier aus dem Buch von Leinster mittheile, zeichnen sich vor anderen Gedichten, die in diesem Bande zu finden sind, durch die complicirte, aber leicht erkennbare Regelmässigkeit ihrer metrischen Form aus. Alle drei gehören dem bei O’Donovan Ir. Gr. p. 422 „Rannaigheacht mor“ genannten Versmass an. Die Strophe (rann) besteht aus zwei Langzeilen oder vier Halbversen, von denen jeder sieben Silben enthält. Jede Langzeile endet mit einem einsilbigen Worte. Diese einsilbigen Wörter bilden den äusseren Reim[5] der Strophe. Dazu kommt der innere Reim, durch welchen die zwei Halbverse einer Langzeile verbunden sind. Die eleganteste Form dieses Reimes besteht darin, [ 156 ]dass das letzte Wort des ersten Halbverses mit dem vorletzten Worte des zweiten Halbverses reimt, wobei jedoch Artikel oder Partikel vor dem letzten Worte des zweiten Halbverses nicht berücksichtigt werden. In I 12, II 5, 7, 8, III 4 ist der innere Reim doppelt vorhanden; in einigen Versen fehlt er. Die Alliteration endlich dient in diesen Gedichten selten als die Verbindung der zwei Hälften einer Langzeile, wie im Germanischen, sondern sie tritt vorwiegend innerhalb des Halbverses auf, am liebsten an den letzten zwei Wörtern, wobei wiederum Artikel oder Partikel nicht berücksichtigt werden.
Der Stabreim verbindet zwei Halbzeilen in I 7, zwei Langzeilen in I 9 und 10. Aspirirtes s ist als nicht vorhanden zu betrachten (I 12, II 5, 6, 8). In Formeln wie inna m‑beo, dia m‑betis, a m‑bás gilt nicht das eclipsirte b, sondern m als Reimstab. Dagegen scheint das vor vocalischen Anlaut getretene n die vocalische Alliteration nicht zu hindern (I 5). In den Handschriften wird gewöhnlich nach dem Schlüsse des Gedichts der Anfang desselben wiederholt, nicht selten aber entspricht das letzte Wort des Gedichtes selbst dem Anfange desselben: so hier in I ogom (oder og in Vers 12? s. die Anmerkung dazu), in II do gres teilcind lia, in III tú.
Im Allgemeinen verweise ich, wie bereits S. 4, auf das Capitel „Constructio Poetica Hibernica in der Grammatica Celtica p. 936, und auf das Capitel Of Versification in O’Donovan’s Grammar of the Irish Language p. 412. Wenn aber Zeuss p. 937 sagt: „nec tamen necesse est idem numerus syllabarum sit in utroque hemistichio nec in singulis versibus ejusdem carminis“, so ist diese Bemerkung in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Allerdings giebt es Gedichte von freierem und wechselndem Versmass (vgl. z. B. Patrick’s Hymnus, S. 52), aber in den meisten irischen Gedichten, die mir vorgekommen sind, ist die Zahl der Silben gesetzmässig geregelt (vgl. das Citat in der Anmerkung zu S. 4). Wie es sich mit den Hebungen und Senkungen im altirischen Verse verhält, ist noch nicht eingehend untersucht. Nimmt man an, dass die Hebung mit dem Wortaccent zusammenfällt, berücksichtigt man, dass mehrsilbige [ 157 ]Wörter neben dem Hauptton noch einen Nebenton haben können (vgl. O’Don. Ir. Gr. p. 403), setzt man endlich voraus, dass die Silben, an denen der Reim oder die Alliteration erscheint, auch in der Hebung stehen müssen, so ergiebt sich bald, dass jeder Halbvers eine bestimmte Anzahl von Hebungen hat, ohne dass jedoch ein regelmässiger Wechsel zwischen Hebung und Senkung statt findet.
Alliteration und Reim sind in den folgenden drei Gedichten durch den Druck markirt.
I.
Dieses Gedicht findet sich im Buch von Leinster fol. 109, b, und ist bereits gedruckt, wenn auch nicht ohne Ungenauigkeiten, in den Transactions of the Ossianic Society, I p. 49, mit einer Uebersetzung von O’Curry. Letztere ist wenigstens correcter, als Sullivan’s Uebersetzung in der Introduction zu O’Curry’s Lectures on the Manners and Customs of the Ancient Irish (Vol. I) p. cccxli. Mein Text beruht auf einer neuen Abschrift.
Gegenstand des Gedichts ist die Schlacht bei Gabair Aide (Gen. Gabra, Dat. Gabair)[6], in welcher Oscur, Ossín’s Sohn, und Corpre Lifechair, der König von Irland sich gegenseitig den Tod gaben. Diese Schlacht soll im Jahre 284 p. Chr., ein Jahr nach Finn’s Tode, statt gefunden haben. Die Fennier unterlagen im Kampfe gegen den König von Irland, gegen den sie sich aufgelehnt hatten. Ausführlicher wird diese entscheidende Schlacht behandelt in einem Dialoge zwischen Ossín und S. Patrick, einem späteren Gedichte, welches im 1. Bande der Transactions of the Ossianic Society (Dublin 1854) publicirt ist von Nich. O’Kearney, mit englischer Uebersetzung und einer beachtenswerthen Introduction. Im Buch des Dean of Lismore beziehen [ 158 ]sich zwei Gedichte auf diese Schlacht (cath zawraa, zawrych), von denen das eine dem Fergus zugeschrieben wird.
Ueber die Vorgeschichte der Schlacht handelt kurz O’Curry, On the Mann. and Cust. II p. 387.
Besonders interessant ist die Erwähnung der Ogam-Inschrift und die Erwähnung des Reitens. In den ältesten Sagen sind die Helden zu Wagen, nicht zu Pferde.
Ossin cecinit.
I cath Gabra ro marbad Oscur ocus Cairpre Lifechair.
Ogum il-lia, lia uas lecht, bali i teigtis fecht fir,
mac ríg hErend ro gaet and do gae gand os gabur gil.
Tarlaic Cairpre aurchur n-airc domuin a mairc maith is tres,
gairsiu condristais a sciss, Oscur ro bi a lam dess.
Tarlaic Oscur irchur n-oll co fergach, lond immar leo,
co ro marb Corpre hua Cuind, rias-ra-giallsatar gluindgléo.
Amansi mora na mac fuaratar a m-bás don gleo,
gairsiu condristais a n-airm, roptar lia am-mairb inna m-beo.
Missi fodéin isin tress leith andes do Gabair glaiss,
marbsa coecait laech fo dí, is missi ros bí dom baiss.
Arpetend carbach fochruch inninaim ba ruth dom rog,
ro marbaind torc i caill cháid, no ṡárgind én aith im og.
In t-ogum út fil isin chloich imma torchratar na troich,
dammared Find fichtib glond cian bad chuman in ogom.
Anhang.
V. 4. Zu gairsiu condristais vgl. V. 8, zu ro bi V. 10. Reimt sciss mit bi? Die Alliteration scheint zu fehlen.
V. 7. O’Curry übersetzt amansi durch „dexterous“, fasst na maic (so ergänzend) als Subject und die feminine Form mora als Prädicat dazu. Sollte mansi Nom. Plur. zu manais sein, das O’Curry, On the Mann. and Cust. II p. 255 durch „broad trowel-shaped spearhead for thrusting“ erklärt? vgl. ibid. p. 262, wo dieses Wort mit mór verbunden ist. Oder gehört amansi zu „ar amainsib in chentair“, ,,from the wiles of this world“, Lor. of Gildas, ed. Stolces, Gl. 147?
V. 8. gairsiu condristais a n-airm übersetzt Stokes Beitr. VII. 54: „kurz bevor sich ihre Waffen begegneten“, indem er gairsiu in gair-ré-siu auflöst. Die Conjunctivform ist wohl noch mehr zu berücksichtigen. Die Alliteration ist, wenn vorhanden, sehr versteckt. Der zweite Halbvers hat eine Silbe zuviel, wenn man nicht das a hinter lia unterdrücken oder verschleifen darf (vgl. O’Donovan’s Bemerkung zu dem Verse Oglach do bhí ag Muire mhóir, Ir. Gr. p. 420).
V. 11. Arpetend etc. Sullivan übersetzt: „I used to handle the Corbach with skill, when my courage was high“!
V. 13, 14. In dieser Strophe reimen sich die Halbverse, und nicht, wie bisher, die Langzeilen. Vielleicht ist sie erst später zugesetzt? Sowohl V. 14 als auch V. 12 ist das letzte Wort gewiss mit Rücksicht auf das Anfangswort des Gedichts gesetzt. In der ersten Hälfte von V. 13 ist eine Silbe zuviel. Ist sin für isin zu lesen, oder ogum ohne Artikel? Da ogum ursprünglich Neutrum ist, so würde es im Altirischen a n‑ogum heissen. Diese letzte Strophe ist citirt von O’Donovan, Ir. Gr. Introd. p. XLV, aber mit der fehlerhaften Lesart mór für na troich.
O’Curry’s Uebersetzung.
Die Fragezeichen rühren von mir her.
1. 2. An Ogham in a stone, a stone over a grave, in the place where men were wont to pass; the son of the king of Eire was there slain, by a mighty spear on a white horse’s back.
3. 4. Cairpre threw a sudden cast, from the back of his horse good in battle; shortly before he (?) met his own death (?), Oscur was slain by (?) his right arm.
[ 160 ]5. 6. Oscur threw a mighty throw, angrily, vehemently (?), like a lion; and killed Cairpre the grandson of Conn, before they raised their battle cries (?).
7. 8. Dexterous (?), great, were the youths (?), who received their deaths from the fight; shortly before their weapons met, their dead were more than their living.
9. 10. I myself was in the fight, on the south side of green Gabhair; I killed twice fifty warriors, it was I who killed them with my hand.
11. 12. Music, boating, rewarding, the prey most difficult I chose (? der ganze Vers unsicher), I would kill a boar in the hard wood, I would rob a vengeful bird of its egg.
13. 14. That Ogham which is in the stone, around which fell the slain; were Finn the fighter (?) of battles living, long would he rememher the Ogham.
II.
Das zweite Gedicht, im Buch von Leinster fol. 153, b (Facs. p. 192), ist eins von denen, welche dem Finn zugeschrieben werden. Ich theile es mit nach einer Abschrift des Herrn Hennessy, die ich 1871 mit dem Originale verglichen habe. Ueber die Situation, auf die sich das Gedicht bezieht, ist mir nichts näheres bekannt. O’Curry, On the Ms. Mat. p. 302, bezeichnet es als „a short poem, of only five quatrains, on the origin of the name of Magh-da-Gheisi, or the Plain of the two Swans (in Leinster)“. Offenbar hängt dieser Name mit den zwei Jungfrauen zusammen, deren Verlust Finn Vers 3 betrauert.
Find mac Cumaill cecinit.
In lia no theilginn do grés dar Maig Da gés co Druim Suain,
ba fota m’irchor din chloich, mad indiu noco roicli uaim.
Ni thoirchet mo dáil adiu di ingin buid buan bangleo,
iuch delb ocus lecco dub, mór in glond dia m-betis beo.
Masé mo sáigul ro siacht, dom riacht cech baegul cach bét,
aire na toirchet mo dáil, menip áil mo ṡechna ar éc.
Bid Mag Da gési co bráth dia n-esi cach trath cid truag,
bid maigen dedail cen dil on t-ṡil ro ṡelaig ro súan.
Ro bith mór láech ar cach ló sin maig maith co n-ilur chia,
dar Mag Da gés in cach dú, on dú do grés teilcind lia.
In.
III.
Auf die doppelte Quelle dieses Gedichts ist schon oben S. 149 aufmerksam gemacht. Im Buch von Leinster findet es sich fol. 161, b. Das Original der von Skene mitgetheilten Version hat Gaidoz in der „XXXVIII, 2“ signirten Handschrift der Advocates’ Library (p. 154) entdeckt, einer Handschrift, die aus der Sammlung der Highland Society of London stammt. Gaidoz bemerkt über diese Handschrift Rev. Celt. II p. 470: „C’est un ms. in-4 en papier, de 94 feuilles, que nous avons jugé être du XVIIe siècle“. Ich lasse den daher stammenden Text (bezeichnet durch Ed.) sammt den Glossen abdrucken, wie er sich findet in Skene’s Introduction zu „The Dean of Lismore’s Book“ p. lxxxiv. Den Text aus dem Buch von Leinster verdanke ich der Güte von Professor Atkinson in Dublin, der mir auf meine Bitte während des Druckes dieses Buches eine genaue Copie (mit Zeilenabtheilung und mit den Glossen zwischen den Zeilen, wie im Original) zukommen liess.
Dass der Edinburger Text direct oder indirect auf den Dubliner Text, oder mit diesem auf eine gemeinsame ältere Quelle zurückgehen muss, ergiebt sich namentlich aus der fast völligen Gleichheit der Glossen und der Unterschrift. In der Unterschrift wird dieses Gedicht dem Oisin zugeschrieben. O’Curry scheint es aber On the Ms. Mat. p. 304 bei der Aufzählung der ältesten ossianischen Gedichte übersehen zu haben, so dass die Zahl derselben nicht elf, sondern zwölf wäre.
Nicht ohne Interesse ist, dass sich Citate aus diesem Gedichte in O’Davoren’s Glossary (15. Jahrh.) finden, einem der Three Irish Glossaries, welche Stokes edirt hat. Auf diese That[ 162 ]sache hat zuerst Ebel aufmerksam gemacht, in den Observations sur le Glossaire d’ O’Davoren, Rev. Celt. II p. 470.