Ihre galanten Abenteuer/1
1. Abenteuer.
Sie war ein Geschöpschen, um dessentwillen man ein Verbrechen hätte begehen können!
Ihr reiches Haar hatte jenes sonderbare Rostrot, das in der Sonne wunderbar gleißt und flimmert. Das Gesichtchen war schmal, seingeschnitten und rassig. Der Mund klein und doch voll — zum Küssen! Am schönsten aber waren ihre Augen. Großl Dunkell Manchmal waren sie auch traurig. Dann blickten sie weich wie Samt. Wenn Mizzi aber lustig war, dann hüpften taufend Sprühteuselchen darin, und Lichter flammten in diesen Augen auf — ein Feuerwerk von Lust und toller Laune!
Der schöne Kopf saß auf einem feinmodellierten, schneeigen Hals. Die jungen, strammen Brüste waren zu ihren siebzehn Lenzen schon stark entwickelt, sast zu üppig für die übrige schlanke Gestalt. Aber Mizzi war stolz auf diese Brüste, und sie kokettierte in meist stramm anliegender Kleidung mit ihnen. —
Sie trug ein Röckchen, das knapp bis zur Mitte der Wade ging, einer Wade, die schon unzählige Männeraugen schmachtend, lüstern, begehrlich umtost hatten. In die man am liebsten geknissen hätte, um den entrüsteten [ 6 ]Aufschrei dieser jungen Schönheit zu hören — aus irgendeinem sadistischen, wollüstigen Gefühl heraus…
Ihre Hände und Füße waren merkwürdig klein. Wenn Mizzi ihre Schühchen ausgezogen hatte, glaubte man nicht mehr, daß diese einer Siebzehnjährigen gehörten: es waren Kinderschuhe. —
So sah Mizzi an jenem Abend aus, als sie mit eiligen, graziösen Schritten ihrer Wohnung zuftrebte.
Leicht wie ein Gummibäll sprang sie die drei Stockwerke empor. Vor einer Korridortür, an der ein Schild mit der Aufschrift: „Paul Hannemann, Portier“ prangte, machte sie halt und klingelte. Schlürsende Schritte wurden laut. Jemand öffnete. Mizzi hatte es schon am Tritt erkannt: es war ihre Mutter.
„Was? Du schon? Habt ihr denn heute früher Schluß gemacht?“ war die Begrüßung.
„Na ja — wie lange denkste denn, daß wir noch in dem Afsenstall da sitzen sollen?“ antwortete Mizzi ihrer Mutter schnippisch und hufchte an ihr vorbei.
„Ich werd’ dir gleich lehren, ’ne anständige Antwort zu geben, du freche Jöhre! Paß mal uff, du! And mit dem Afsenstall — da haste recht! Es sitzt ja doch nichts anderes darin wie lauter Afsen!“
„Na — ich kann ja gehn, wenn’s nich recht is!“ maulte Mizzi aus dem Wohnzimmer. Damit drohte sie jedesmal, wenn sie mit der Mutter zufammenstieß. Meist endete die Aus[ 7 ]emanderseßung dann damit, daß Mizzi ihre Maulschelle für ihr „dreistes Mundwerk“ erhielt; dann war der Frieden in der Familie Hannemann wiederhergestellt.
„Dein Essen steht draußen in der Küche!“
„Ich hab’ keinen Hunger, Mutter.“
„Was is? Keinen Hunger? Haste wohl wieder ’n Hausen Schokolade und Pralinés und so was alles genascht, was?“
„Wo soll ich denn das Geld dazu hernehmen?“
„Wer weiß, was du heimlich alles für Kavoliere an der Hand hast!“
„Ich, Kavaliere? Aber, Mutter, erlaube mal!“
„Nee, das erlaube ich dir eben nich! Und das laß dir gesagt sein: erwische ich oder dein Vater dich mal mit so ’n Bengel, dann gnade dir Gott, Mädel! Ich haue dir samt dem Jungen eine runter, das sag ich dir heute schon!“
„Das Glück wirste bei mir nich haben. Und wenn ich wirklich mal eenen wollte, dann hätte ich gleich mit Tieleckes Maxe losgehen können. Der hat mich erst vorhin auf der Straße angequatscht…“
„Was? Der Laufejunge hat dich angequatscht? Das is ja die Höhel — Na warte, wenn ich den ollen Tielecke mal wieder treffe, dem werde ich aber von wegen die Touren Bescheid sagen, die sich sein Sprößling erlaubt! Junge Mächens — Töchter von ehrbaren Eltern uff die Straße ankeilen — so war’s richtig! Na warte, Männeken — das soll dir nich geschenkt werden!“
[ 8 ]Frau Hannemann konnte sich gar nscht darüber beruhigen, daß der „grüne Lausejunge“ ihr Mädel auf der Straße angesprochen hatte. „Und das am hellichten Tag!“ lamentierte sie, trotzdem es schon seit zwei Stunden stockfinstere Nacht war.
Mizzi hatte die Mutter nicht belogen: sie hatte wirklich keinen Appetit. Die Vorfreude auf ein großes Ereignis, das größte ihres Lebens, ließ kein Hungergefühl bei ihr aufkommen.
Mizzi wollte nämlich auf den Maskenball.
Maskenball!
Wieviel Wonnen und Seligkeiten barg doch dieses Wort für sie, Mizzi hatte sich in ihren Freistunden im Putzmacheratelier ans einem abgelegten Kleidchen ein hübsches Maskenkostüm zurechtgeschneidert. Als „Zöschen“ wollte sie gehen. Sie brauchte also nur noch ihre schwarzseidene Bluse aus dem Schrank zu holen — das Häubchen konnte man unterwegs in einem Hausgang auf das Haar stecken, ebenso die winzige weiße Zierschürze, die ganze zwei Mark gekostet hatte. Und dann noch die Maske, das Geheimnisvollste, Interessanteste an der Sache, umbinden, und sertig war die Laube.
Ja, sie wollte sich schon aus dem Haufe stehlen, ohne daß die Mutter auch nur das geringste wahrnahm! Sie war doch nicht dumm! Und um neun Uhr wartete Nelly, ihre Freundin, an der Ecke.
Mizzi schob ihren Teller zurück, stand auf und ging ins Schlafzimmer hinüber. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand sie [ 9 ]einen Augenblick lauschend still. Dann kniete sie rasch auf den Boden — ein Griff unters Bett, und sie hielt den ganzen Mummenschanz in den Händen.
Das Röckchen — reichlich kurz zwar, aber das gehörte nun mal zu einem Zöschen — dann die winzigen Lackschuhchen, die sie sich von Nelly geliehen hatte, und die dieser viel zu klein waren. Dann das Spitzenhäubchen und die Tändelschürze. Und dann die schwarzseidene Maske! —
Mizzi probierte sie vor dem Spiegel, und ihr froherregtes Herz klopfte vor freudiger Erwartung auf das Kommende. Kein Mensch würde sie so erkennen — nicht mal Franz Kober, „der schöne Franz“, wie er von Mizzi und ihren Kolleginnen vom Melier schwärmerisch genannt wurde.
Als was er wohl erscheinen würde? Vielleicht als Spanier? Oder als Zigeuner? Oder vielleicht als verwegener Brigant, in den sich Baronessen und Gräsinnen verlieben? Ja, sicher kam er als „Rinaldo Rinaldini, der verwegenste und kühnste Räuberhauptmann des neunzehnten Jahrhunderts.“
O, wie war doch die Welt schön! Was gab es doch für Freuden und Wonnen auf Erden! Und man war ganze siebzehn Jahre alt, und durfte das alles mitmachen, genießen — zwar heimlich nur, aber das war ja vielleicht daS Schönste daran!
And wieder beschäftigten sich die krausen Gedanken mit Franz Kober. Gestern hatte er die Nelly nach Haufe begleitet, aber nur, um ihr zu beichten, daß er auch auf dsm Masken[ 10 ]ball erscheinen werde. Natürlich Mutzte er genau, daß Nelly dies ihrer Freundin wieder erzählen würde. Er benützte Nelly nur als Postillon d’amour — weiter nichts. Sein Herz gehörte sicher nur ihr allein.
Und ihr Herzchen? Das verliebte, junge, allzeit unruhvolle Herz? Gehörte es nicht auch ihm? Ganz und gar dem schönen Franz?
Mizzi stand vor dem Spiegel und sah sich durch die beiden Schlitze in der Maske prüsend an — sah sich in die großen, dunklen, freudefunkelnden Augen. And ihr Herz klopfte laut und deutlich: „Ja!“
Da hörte sie die Korridortür gehen. Flink war die Maske mit all dem Mummenschanz wieder unterm Bett. Sie stand laufchend. Es war der Pater, der für einen Augenblick seinen Posten im Hotel „Stettiner Hof“ verlassen hatte und herübergekommen war, um einen Bissen zu nehmen.
Leise öffnete Mizzi die Tür, um zu erhörchen, was ihm die Mutter wieder von ihr erzahlen würde. Sicher wurde ihm nun gleich brühwarm die Geschichte mit Max Tielecke erzählt. Die Mutter konnte auch schon gar nichts dem Vater verschweigen! —
Und richtig, da ging’s schon los:
„Nu denk’ mal an, Paul, wird da nich vor ner Weile unsere Mizzi vom jungen Tielecke, dem frechen Bengel, auf der Straße angequatscht?!“
„Was? Dieser Laufejunge? — Der soll mir man bloß nich unter die Augen kommen, da kann er aber was erleben, sag’ ich dir! Was wollt’ er denn von se?"
[ 11 ]„Nach Hause begleiten wollt’ er sie.“
„So ’ne Rotznase! Der Kerl soll man erst seine Schulaufgaben machen, bevor er an so ’ns Sachen denkt! — Na warte, wenn ich mal seinen Alten sehe!“
„Du darfst aber nich grob mit ihm sein, Paul! Denk’ dran, daß wir ihm die Kohlen noch nich bezahlt haben.“
„Denkste vielleicht, weil ich die Kohlen noch nich bezahlt habe, trau’ ich mir nich mehr, dem Ollen da über seinen Laufejungen die Wahrheit zu sagen? Das war’ ja noch schöner! Nee, Mutter, da sei Jott vor! Ich werd’ dem Ollen sogar mächtig Bescheid sagen! Ich werd’ doch nich mein eigen Fleisch und Blut von so ’nem Dengel verführen lassen!“
„Davon is doch gar keine Rede, Paul. Er hat sie doch man bloß angequatscht.“
„Das verstehst du nich, Mutter. — So fängt die Sache allemal an: erst quasselt er sie an — denn kommen Geschenke — das dumme Ding läßt sich überreden, und schon sitzt se drinne im Elend. And wer hat nachher den Schaden? Die Eltern! Lehr’ du mich nich die Welt kennen! Ich weiß Bescheid!“
„Du hast’s wohl früher ebenso mit die Mächens gemacht, was?“
„Red’ keinen Ansinn, Mutter. Du weißt ganz genau, daß du meine erste Liebe warst. — Wo ist denn eigentlich die Mizzi?“
„Da drinne.“
„Na, denn ’rann mit dem Mädel, damit ich ihr mal wieder den Kopp wasche! — Mizzi! — he, Mizzi!“
[ 12 ]Da ging Mizzi hinaus in die Küche zum Vater.
„Hast du mir gerusen, Papa?“
„Jawohl hab’ ich dir gerusen, Mädel! — Sag’ mal, wie war denn das mit dem Tieleckeschen seinem Bengel, was?“
„Na, ich geh da auf der Straße, auf einmal quatscht mich eener an, und wie ich ihn anseh’, da is es der Max Tielecke.“
„Na, und was hat er denn gesagt? Her aus mit die Sprache!“
„Ob er mich begleiten dürse…“
„Was fagtest du dadruf?“
„Ich hieß ihn einen Affen und ließ ihn stehen.“
„Is das auch wahr?“
„Auf Ehr’ und Seligkeit, Papa!“
„Na, dann is gut! — Wenn er dir noch mal anquatschen tut, denn sage ihm, daß du mir’s erzählt hast, und daß ich seinem Vater darüber Bescheid sagen werde, hörste?“
„Jawohl, Papa.“
„Na, nu kannste gehen.“
Mizzi ging, und Vater Hannemann sah nicht, wie Mizzi eine schnippisch-verächtliche Grimasse schnitt, die den Vater mit seinen Moralpredigten verspottete. Wenn er erst eine Ahnung gehabt hätte, was sie für heute abend noch im Sinne hatte! — —
„Das wäre mir ja das Wahre!“ polterte Paul Hannemann weiter, während er mit großem Appetit einen Teller voll Klöße löfselte. „Mein eigen Fleisch und Blut zu verderben! Nu is die Jöhre kaum siebzehn, und schon sind se hinter Hr her wie die Hunde!“
[ 13 ]„Es is eben auch een hübsches Mächen — da sind se stets hinterher“, erklärte Frau Hannemann mit deutlichem Mutterstolz.
„Na ja, sie schlägt eben mir nach", meinte nun Vater Hannemann mit selbstgefälligem Brummen.
„Dir? — Nu sieh mal einer anl Dir sollte das Mädel nachschlagen?“
„Na dir vielleicht?“ entgegnete der Vater und richtete sich kampflustig auf.
„Wem denn sonst? Mizzi ist mir wie aus dem Gesichte geschnitten! Genau so hab’ ich als Mädchen ausgesehen.“
„Davon is aber heute keene Spur mehr zu sehen“, erwiderte Papa Hannemann ungalant.
„Grobian!“ brummte Frau Hannemann und hantierte klirrend mit Tellern und Schüsseln.
„Mahlzeit“, machte der Vater darauf trocken, wischte sich den Bart und erhob sich. „Na, denn wollen wir mal wieder. Adjös, Mutter.“
„Geh’ schon, du!" grollte Frau Hannemann.
„Na, sei man wieder friedlich, Olleken“, sagte Vater Hannemann begütigend, „es war nich fo schlimm gemeint. Ich weiß ja, daß du früher 'n hübsches Mächen warst.“
Noch halb schmollend, halb versöhnt erwiderte Frau Hannemann: „Nu geh schon, alter Esel du!“ And sie gab ihm einen Klaps auf den Nücken und schob ihn zur Sur hinaus.
Mizzi stand an der Tür und lauschte, ob der Vater auch wirklich gehe. Es war drei Viertel neun, also höchste Zeit, sich fertig [ 14 ]zu machen. Punkt neun erwartete sie Nelly an der Ecke.
Mit seinem schweren, bedächtigen Schritt ging der Vater die Treppen hinunter. Als die Haustür ins Schloß siel, atmete Mizzi auf. „Gott sei Dank! — Nun aber flink, bevor die Mutter mit Abwaschen sertig ist.“ —
Lautlos wie ein Dieb schlich sich Mizzi zur Tür hinaus. Auf der Treppe blieb sie einen Augenblick stehen. Was würde der Vater und die Mutter dazu sagen, wenn sie merk ten, daß sie durchgebrannt war? Und was wartete morgen früh ihrer, wenn sie zurückkehrte? Gab es da nicht einen Riesenkrach? Aber vielleicht schonte sie die Mutter und sagte dem Vater nichts davon, der diese Woche Nachtdienst hatte und erst gegen acht Uhr morgens zurückkehrte.
Vielleicht ging’s gut ab — vielleicht auch schlecht. Iedenfalls mußte sie sich auf alles gefaßt machen. —
„Ach was!" sagte Mizzi plötzlich in jäh erwachendem Leichtsinn vor sich hin. „Wenn man sich erst jedesmal genau überlegen wollte, ob man sich ’ne Freude gönnen soll oder nicht, dann käme man überhaupt zu keinem Genuß!“
Und mit einem luftig-leichtsinnigen: „Hoppla, Papa sieht’s ja nicht!“ hüpfte sie vollends die Treppen hinunter.
Sie hatte den Kragen ihres Mantels bis über die rosigen Öhrchen hochgeschlagen. Die von Nelly gepumpten Lackschuhe paßten wie angegossen. Das Röckchen faß tadellos. Nur etwas kurz war es — selbst für ein freches, [ 15 ]adrettes Zöschen, denn es ging knapp über die Knie. Und es ließ die wundervollen, strammen Waden Mizzis sehen, nach denen täglich heiße, begehrliche, lüsterne Männeraugen schauten und sich so gerne die Fortsetzung weiter hinaus ausmalten. — —
„Bist du’s, Mizzi? Gott sei Dank, daß du da bist!“
„Dachtest du etwa, ich komme nicht?“
„Ich habe eben deinen Alten gesehen. Dachte schon, er habe dich erwischl. — Hast du deine Maske?“
„Natürlich! Hier!“
„Und dein Häubchen und den Staubwedel?“
„Alles da! Wo binden wir uns denn die Maske um?“
„Hier drin — im Hausgang. Komm mit!“
Sie hufchten in einen Hausflur und banden sich drinnen die Masken vor das Gesicht.
„Gib mal dein Häubchen, du, ich mach’ dir’s fest“, sagte Nelly. In zwei Minuten war alles geschehen. Maskiert verließen sie das Haus.
„Kennt man mich so?“ fragte Mizzi besorgt, während sie im Dunkel der Häufer dähinhufchten.
„Keine Spur!— Mich etwa?"
„Ausgeschlossen! — Du, als was ’wohl der schöne Franz gehen mag?“
„Das wissen die Götter!“
„Weißt du, was ich mir dachte, als was er gehen könnte?“
„Na?“
„Als Nüüberhauptmann.“
[ 16 ]„Na, hör’ mal, Mizzi, wie kommst du bloß darauf?“
„Ich weiß nich. Ich dachte mir’s eben so —“ Nach einer Weile fuhr Mizzi fort. „Hast du’s ihm verraten, daß du als Holländerin gehst?“
„Ich? Na weißt du, Mizzi, ich bin doch nicht dußlig!“
„Ich hätt’s ihm vielleicht verraten“, meinte Mizzi darauf mit versonnenem Lächeln.
„Natürlich, du! Du hättest uns wieder die ganze Freude verdorben!“
„Ich weiß nich — aber den Franz könnte ich wohl kaum anlügen…“
„Red’ keinen Unsinn, Mizzi! Ich hab’ auch mal einen gern gehabt — du weißt doch: den Karl Brandauer. Aber was ich den Menschen verkohlt habe, das ging schon auf keine Kuhhaut mehr!“
„Dann hast du ihn wohl auch nich richtig gerne gehabt, Nelly.“
„Na erlaube mal, Mizzi: nich richtig gerne gehabt! Was hab’ ich bloß alles um den Jungen ausgestanden! Zu Haufe mußte ich schwindeln, daß alles man so gekracht hat. Tut man dies vielleicht um was anderes als um Liebe?“
„Ich glaube, wenn du ihn richtig gerne gehabt hattest, dann würdest du ihn nicht wegen ’nein kleinen Streit haben lausen lassen.“
„So? Soll ich mir vielleicht von ihm alles bieten lassen? Nee, meine liebe Mizzil So dumm —! Nachher spielen se mit einem noch Fangball! Glaub’ mir nur, ich hab’ [ 17 ]Erfahrung darin! Ich bin zwei Jahre älter wie du! Wenn man sich von den Männern alles gefallen läßt, dann ist man verkauft.“
Nelly hätte ihrer Freundin sicher noch mehr Ratschläge über die Behandlung von Männern erteilt, wenn sie nicht an dem Ballokal angekommen wären, in dem der Maskenball stattfand. —
Eine ganze Gruppe Maskierter staute sich an der Garderobe. Wenn die Türen zum Saal aufgingen, sah man, daß dieser bereits gefüllt war. Und trotzdem drängten sich noch immer neue Masken herein.
Soeben erklang durch die geschlossenen Türen gedämpft ein Walzer. Mizzi und Nelly sahen sich in glücklicher Vorfreude an.
Ein Walzer! Alle Tore der Seligkeit erschlossen sich für Mizzi bei seinen Klängen. Ein Walzerl Mizzi reckte beglückt die Arme: in ein Meer von Wonne und Seligkeit wollte sie nun untertauchen — mit ihm. dem schönen Franz! — —
„Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd’“, war das Motto des Maskensestes. Aber man mußte sich wundern, was sich da alles auf der Alm herumtrieb. Ritter und Edelfräulein aus dem Mittelalter, Kongoneger und Indianer, Spanier und Zigeunerinnen, Turkos und Engländer mit hohen, grauen Zylindern und langen Ferngläsern — alles in buntem Durcheinander. Und schließlich auch das, was man auf der Alm gemeinhin sucht: Dirndl und Buam.
Welcher war er? War er jener Kapuzinermönch, der ganz gegen alle fromme Ordens[ 18 ]regel ein blondes Nixchen im Arme hielt und mit ihr dahinschwebte? Oder jener Pole, der einer Nachtkönigin in seinen Armen lächelnd in den Halsausschnitt lugte? Oder der Brigant dort, der den spitzen Hut verwegen auf dem linken Ohr sitzen hatte und nach einer schönen Maske Ausschau hielt? Oder der Tiroler? Der Schornsteinfeger? Der lustige Konditor, der jeder weiblichen Maske auf die nackte Schulter klatschte?
Wo war er, der schöne Franz?
Da kam ein als herrschaftlicher Diener Maskierter auf sie zu. Er schlang den Arm um sie, ohne lange zu fragen, und sagte. „Kammerdiener und Zofe gehören zufammen! Komm, Kleine!“
And sie drehte sich mit ihm nach den Klängen des Donauwellenwalzers. Nelly war längst in den Armen eines Landsknechts davongeschwebt. —
Der Walzer war zu Ende. Eben wollte sie ihr Tänzer in eine versteckte Sektlaube hineinziehen, als Mizzi plötzlich ihr Handgelenk mit sestem Griff umspannt fühlte, und eine Stimme, die sie kannte und bei der ihr das Herz bebte, flüsterte ihr ins Ohr: „Bleib’ hier, Mizzi!“
Das war Franz Kober! —
Mit einem energischen Ruck machte sie sich von dem aufdringlichen Kammerdiener frei und stand dann mit hochklopsendem Herzen dem schönen Franz gegenüber.
Er war als Märchenprinz verkleidet. Das weinrote Samtwams mit der reichen Goldverzierung stand deni wohlgewachsenen, jun[ 19 ]gen Manne vortrefflich. Seine Beine steckten in roten Trikots. Sie waren schlank und kerzengerade. Unter dem sedergeschmückten Samtbarett trug er eine goldblonde Lockenperücke. Ein schlanker Segen hing ihm zur Seite. Schmuck sah er aus, der schöne Franz!
Er bot ihr galant den Arm. Strahlend sah sie zu ihm auf, und ihre dunklen Augen blitzten ihm aus den Schlitzen der Maske verheißungsvoll entgegen. Dann schlenderten sie Arm in Arm durch das bunte Gewoge der Masken. — —
Sie saßen in einer laufchigen Nische. Vor ihnen stand ein Kübel mit einer Sektflasche. Franz Kober ging heute auss Ganze. Man ging ja nur einmal im Jahr zum Maskenfest! Und wer konnte wissen, wann ihm mal wieder das Glück so hold war und ihm die rassige, füße Mizzi so nah und warm bescherte?
Und Franz Kober summte die Walzermelodie aus dem „Grafen von Luxemburg“ mit, die eben erklang:
„Sagt nicht alles in dir:
Sei gescheit?
Heute winkt dir das Glück!
Bersäum’, verträum’ nicht die Zeit!“
Er versäumte und verträumte die Zeit nicht, sondern goß die Gläser voll und stieß mit Mizzl an, immer und immer wieder auf ihre junge Liebe — auf ein zukünftiges Glück — auf alles, was ihm so durch den Kopf wirbelte…
„An was haben Sie mich denn eigentlich erkannt?“ fragte ihn Mizzi plötzlich.
[ 20 ]„Was? Du sagst ,Sie‘ zu mir? Heute beim Maskenfest, wo die Narrenfreiheit herrscht? — Aber Mizzi, nun blamier’ dich bloß nicht!“
„Aber ich kann doch nicht — “
„Natürlich kannst du! Komm her, sag’ du zu mir und gib mir einen Kuß!“
Er schlang seine Arme um sie und preßte sie an sich. Dabei fühlte er ihren runden, sesten Bufen an seinem Körper, und das Blut schoß ihm in den Kopf.
„Nicht doch — Herr Kober!“
„Ob du gleich ,du‘ zu mir sagst?“
„Ja … ich will schon … aber lassen Sie mich los, ich kriege ja keinen Atem mehr!“
„Sollst du auch nicht! In meinen Armen sollst du vergehen, hörst du?“ sagte er heiß.
„Herr Kober — Sie zerdrücken mich ja — —!“
„Küsse mich!“
„Ja doch — wenn Sie, mich loslassen!“
„Ich lasse dich nicht!“
„Dann gebe ich Ihnen auch keinen Kuß.“
„Küsse mich, Mizzi! Küsse mich!“
Und sie küßte ihn: erst noch zaghaft, ungeschickt und leise verschämt. Da schlang er wieder in auflodernder Leidenschaft seine Arme um sie und preßte seine Lippen auf ihren roten, lächelnden Mund, der sich ihm in verhaltener Lust entgegensehnte … Er küßte sie, bis sie zu ersticken drohte. —
Mizzi hatte die Maske abgenommen. Sie war ganz blaß geworden, hatte sich in die Ecke gedrückt und sah zu ihm herüber wie ein scheuer Vogel.
[ 21 ]Nun war es plötzlich in ihr erwacht, was bisher in ihr geschlummert hatte … was nur manchmal dunkel und unbestimmt an die Herzwand gepocht hatte: ein fremdes Sehnsuchtsgefühl, das ihr manchmal in schwülen Sommernächten den Schlaf genommen hatte.
War das die Liebe? Das Übermächtige, Menschheitsbeglückende, von dem die ganze Welt bis in den verborgensten Winkel erfüllt war?
Als er sie in seinen Armen gehalten, da hatten sie süßeste Wonneschauer durchrieselt. Eine Lust war durch ihre Adern gejagt, die sich immer mehr erhitzte — und immer wonniger wurde. Hatte sie nun schon das Höchste, das Köstlichste erlebt? Oder gab es noch Schöneres? Ihr Herz schwoll vor Lust und Sehnsucht, auch noch das Letzte und Tiefste auskosten zu dürsen.
Franz Kober saß und hielt krampfhaft sein Glas umfpannt. Auch er hatte die Maske abgelegt und zeigte nun sein etwas weiches, schönes Antlitz mit dem schwarzen Bartanflug unter der leicht gebogenen Nase. In einer Mischung von mühsam niedergehaltener Leidenschaft und heißem Begehren starrte er in das flammende Gesicht Mizzis, sah in ihre dunklen Samtaugen. —
„Liebst du mich, Mizzi?“ fragte er leise mit bebender Stimme. Sie senkte tief das Köpfchen und hauchte ein verschämtes „Ja!“
Da siel er sie an wie ein brausender Frühlingssturm, der junge Bäume knickt und Lust und Verderben um sich ausstreut. Er riß sie an sich mit einem unterdrückten Jubellaut und [ 22 ]bedeckte Augen, Mund und Hals mit unzähligen Küssen.
„Mizzi!“ stammelte er dazwischen. Und kein anderes Wort vermochte er zu sprechen. Immer nur ihren Namen nannte er und küßte sie dazwischen. —
Da trat eine Maske unter den Eingang der Nische.
„Was? Hier drückst du dich herum?“ rief diese herein, und als sich Mizzi hastig aus der Amarmung Franz Kobers löste, sah sie Nelly in Begleitung eines maskierten Rattenfängers von Hameln, der die beiden in der Laube höhnisch grinsend betrachtete.
„Nee — er drückt sie doch, siehste denn das nicht?“ belehrte der Nattenfänger seine Begleiterin. Nun erkannte ihn Mizzi an der Stimme. Es war Karl Brandauer, Nellys „Verflossener“.
„Wie habt ihr euch denn wiedergesunden?“ fragte Mizzi ihre Freundin, indem sie verwirrt ihr Röckchen glatt strich.
„Genau so wie ihr!“ entgegnete für Nelly der Rattenfänger. „Der Liebesmagnet hat uns gegenseitig angezogen! Hähähä!“
„Der Mensch ist heute voller Possen“, lachte Nelly mit. „Uber was ist denn mit euch los? Tanzt ihr denn nicht?“
„Wir haben schon genug getanzt“, erklärte Franz, dem das Dazwischenkommen des Paares nichts weniger als angenehm war.
„Ach was, Quatsch!“ erwiderte nun Nelly. „Wir suchen ein Visavis zum Française! Los! Raus aus die Kartofseln!“
[ 23 ]Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als Nelly und ihrem Rattensänger zu folgen.
„Nachher verschwinden wir aber wieder“, flüsterte Mizzis Liebhaber ihr ins Ohr. Sie nickte stumm. Franz Kober aber konnte nicht sehen, daß ihr dabei wieder eine neue Glut ins Gesicht gestiegen war, denn Mizzi hatte die Maske wieder vorgetan, bevor sie aus der Nische trat. Auch er war ihrem Beispiel gefolgt. So sah er nur den Strahl liebender Hingabe, wenn sie ihn aus dem Dunkel ihrer Samtaugen ansah. Und er erwiderte darauf mit einem innigen Händedruck. So hielten sie während des Tanzes stumme Zwiesprache. —
Der Tanz war zu Ende.
„Wißt ihr was? Nun setzen wir uns zusammen in eine Laube und knutschen!“ erklarte Nelly, die dem Sekt schon ziemlich zugesprochen hatte.
„Geht voran und sucht eine freie Laube, wir kommen dann nach“, entgegnete ihr Franz Kober und preßte Mizzis Arm verständnisvoll an sich.
„Schön! Werden wir bald haben!“ rief Nelly und zog ihren Rattenfänger unternehmungslustig mit sich fort.
„Rasch fort! Hinaus, bevor sie zurückkommen!“ drängte Franz und zog Mizzi hastig hinaus aus dem Saal.
Nun standen sie im Freien. Eine weite Parkanlage befand sich hinter dem Saalgebäude. Hinter Bäumen und Gebüschen standen Bänke — wie zum Plaufchen zweier Liebender hingestellt.
Hin und wieder sah man in dem matten [ 24 ]Schein, der aus dem Saale drang, Liebespärchen auf verschwiegenen, bufchumsäumten Wegen dahinhuschen. Man hörte Küssetauschen, Liebesgeslüster, wonniges Stöhnen, oder auch einen leichten Aufschrei, wenn der Liebhaber etwas zu stürmisch wurde. Die Luft hing voll füßem Werben. Ein Singen und Klingen schwang von irgendwoher. Die Nacht schien wie zum Lieben geschassen.
„Komm!“ sagte Franz Kober nur und schlang seinen Arm um ihre schlanke Hüfte. Er fühlte, wie sie vor Erwartung bebte. Sin Ahnen schwoll in ihrem Herzen auf. Halb Furcht, halb ungestillte, wunschvolle Luft stritten sich in ihrer Brust.
Heute, jetzt sollte es geschehen, was sie sich in einsamen Nachten so sehnsüchtig herbeigewünscht hatte? Und wovor ihr zugleich eine entsetzliche Angst das Herz zufammenschnürte?
Heute — — —? Jetzt?…
Mizzi begann im stillen zu beten, heiß und inbrünstig — ein altes, fast schon vergessenes Kindergebet:
… Mein Herz ist rein —
Es darf niemand drin wohnen
Als Jesus allein. — —
Da führte er sie zu einer Bank, die unbesetzt war und lauschig versteckt hinter einem dichten Gebüsche stand.
„Komm, Liebste“, sagte er wieder. Aber diesmal zitterte seine Stimme vor Erregung.
Und Mizzi ging mit ihm zu der Bank, willenlos, in einer Art traumhaftem Zustand — wie eine Nachtwandlerin.
[ 25 ]Sie setzten sich. Er zog sie mit fliegenden Händen an sich. Sie legte den Kopf an seine Brust, und da hörte sie, wie sein junges, leidenfchaftdurchtostes Herz ihr wild entgegen schlug.
„Liebst du mich?“ fragte er wieder leise, aber die tiese Erregung raubte ihm die Stimme.
Sie nickte nur. Wie ein Vögelchen, das sich unter die Flügel der Mutter versteckt, kam sie sich vor. — Er tut dir nichts Böses an, ging es ihr tröstlich durch den Sinn. Nichts Böses … nicht Böses…
Da brach die mühsam verhaltene Leiden schaft aus ihm hervor wie ein Vulkan. — Er preßte sie an sich fester und sester … atemraubend … Er hob sie empor, leicht wie ein Kind — und legte sie dann behutsam, wie etwas Zerbrechliches, auf die Bank nieder.
Mizzi schloß die Augen. Es war ihr, als ob sie eine serne süße Mufik höre … Eine Glocke läutete mit silbernem Ton.
Dann hörte sie noch das stürmische Atmen ihres Geliebten, der in lodernder Leidenschaft entbrannt war. Er stieß zum letztenmal in zitternder Erregung hervor: „Liebst … du … mich?…“
„Ja…“ hauchte sie und weinte vor Glück.
Dann senkte es sich wie ein Traum auf sie herab — wie ein unendlich füßer, über seliger Märchentraum.
O wie schön war das … wie wunder wunderschön…
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„Ja…“
„Weißt du denn nicht, wie spät eS ist?“
„Nein…“
„Gleich fünsel“
Mizzi gab darauf keine Antwort mehr. Sie sah in der Laube und hatte weltvergessen den Kopf an ihres Liebsten Brust gebettet. So träumelte sie, in tief-seliger Erinnerung an die genossene Glücksstunde versunken, vor sich hin. Die Augen hielt sie geschlossen und ein unsäglich glückliches Lächeln spielte um ihre Lippen.
„Ich hab’ dich ’ne volle Stunde gesucht! Wo hast du denn so lange gesteckt?“
„Ich weiß es nicht … irgendwo … vielleicht im Himmel…“
„Was? Im Himmel? — Du hast wohl einen weg, was? — Nu komm’ endlich! Es ist höchste Zeit! Deine Olle macht dir einen Riesenkrach, da kannst du dich drauf verlassen!“
„Ja, ja … ich komm’ schon … Nur noch eine Weile laß mich so…“
„Herr Kober, dann sagen Sie’s doch! Ich, kriege nachher den Krach von Mizzis Mutter, wenn ich zu ihr komme!“
„Komm’, Schatz, es ist Zeit, nach Hause zu gehen.“
„Ja, mein Liebster.“
Und Mizzi erhob sich und sah um sich, als ob sie aus einem tiefen Schlaf erwache. Als sie dem Geliebten in die Äugen sah, schlang sie impulsiv die Arme um seinen Hals und [ 27 ]preßte ihr Köpfchen sest, o so sest an seine Brust.
„Du Liebster!“ sagte sie voll bebender Innigkeit.
„Mein Schatz“, erwiderte er leise und strich ihr zärtlich über das schimmernde, kupferfarbene Haar.
Dann verließen sie Arm in Arm den Ballsaal. —
And als sie draußen an den Parkanlagen vorbeikamen, blieb Mizzi plötzlich stehen und sah ihren Liebsten glückstrahlend an. Dann warf sie sich ihm ungestüm an die Bruft. Er aber bog ihren Kopf zu sich herauf und ihre Lippen verschmolzen in einem langen, bebenden Kuß. — — —
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