“We teil ourselves stories of our past,
make ficitons or stories of it, and these
narrations become the past, the only part
of our lives that is not submerged.”
(Carolyn G. Heilbrun, Writing a Woman’s Life)[1]
Am 10. September 1940 verliess Antonia O.,[1] gerade 27 Jahre alt, gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem erstgeborenen Kind Südtirol in Richtung Deutsches Reich. Die Fahrt verlief von B., einer Südtiroler Kleinstadt, über Innsbruck nach Wien, seit dem «Anschluss Österreichs»[3] Teil des Reichs. Die Migration war die Folge des nazi-faschistischen Abkommens zur Option und Umsiedlung der deutsch-, ladinisch- und - eingeschränkt - der italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols. Am Beispiel der Lebenskonstruktion[4] von Antonia O. soll im folgenden der Frage der Wahrnehmung und Deutung dieser spezifischen Form der Migration durch die Akteurin nachgegangen werden. Diese Fallgeschichte - als Repräsentantin für den Umgang mit sozialer Wirklichkeit und damit Bestandteil derselben - dient der Rekonstruktion des Allgemeinen an einem konkreten Einzelfall. Vorangestellt sind methodologische Überlegungen zum Umgang mit biographischen Quellen sowie eine kurze Einführung in das Thema der «Umsiedlung der Südtirolerlnnen».
VOM UMGANG MIT LEBENSGESCHICHTLICHEN QUELLEN
Grundlage der folgenden Ausführungen zur Rekonstruktion der autobiographischen Perspektive der einzelnen Akteurinnen sind lebensgeschichtliche Narrativinterviews[5] mit Südtiroler Umsiedlerinnen. Durch die biographische Herangehensweise können Annahmen der herkömmlichen Migrationsforschung hinterfragt beziehungsweise neu beleuchtet werden. Im Gegensatz zu dem am häufigsten verwendeten Modell der Migrationsforschung, dem sogenannten Pull-Push-Modell, welches durch die strikte, statische Trennung zwischen Herkunfts- und Aufnahmegebiet zwei verschiedene, unüberbrückbare und unverbindbare Welten konstruiert, innerhalb derer die Subjekte der Geschichte fast vollständig aus der Analyse verschwinden beziehungsweise - maximal - als passive Marionetten der Strukturen von Herkunfts- und Aufnahmegebiet sichtbar werden, ermöglicht die Thematisierung