archie zu entwickeln, weit entfernt von den Alpenländern. Von Norden drohte ohnehin keine Gefahr seitens des verbündeten Deutschen Reiches, im Westen lag die neutrale Schweiz und im Süden hatte der Dreibundpartner Italien im August 1914 ebenfalls seine Neutralität erklärt. So wurde auch die erste Welle der Kriegseuphorie lediglich durch die zahlreichen Rekrutierungen von wehrfähigen Männern aus diesem Teil der Monarchie einigermassen gebremst.[7]
Sehr rasch sollte sich jedoch die ungeheure Wucht und Härte des ausgebrochenen Krieges zeigen. Als nämlich im Zuge der ersten erfolgreichen Grossoffensiven die russischen Truppen noch im August 1914 bis weit nach Galizien und in die Bukowina vordrangen, lösten sie eine gewaltige Massenflucht aus, die den umfangmässigen Rahmen der strategisch geplanten Evakuierungen bei weitem sprengte. Ein ungeordneter Strom von zehntausenden Zivilisten - in ihrer Mehrheit ältere Menschen, Frauen, Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Nationalität, Konfession und sozialen Standes - bewegte sich auf die westlichen Länder der Monarchie zu. Wohin sie sollten, wussten wohl die wenigsten, doch ihr Ziel bildeten vor allem die grösseren Städte, allen voran die Reichshauptstadt Wien, aber auch die weitgehend noch sicheren Alpenregionen sowie Böhmen und Mähren. Dort schien auch die beste Gelegenheit, entweder bei Verwandten oder Freunden unterzukommen oder eine Arbeitsgelegenheit zu finden, um sich wenigstens für die Zeit bis zur Rückkehr in die Heimat den Lebensunterhalt verdienen zu können. Für die einheimische Bevölkerung dieser Zielgebiete bedeutete dies hingegen erstmals eine direkte, unfreiwillige Konfrontation mit den unmittelbaren menschlichen Auswirkungen des Krieges. Unfreiwillig war indes auch die Mobilität der Betroffenen, ihre erzwungene Emigration, die nicht nur eine enorme psychische wie physische Belastung darstellte, sondern die sie auch sehr bald die Grenzen staatlicher Fürsorge und mitbürgerlichen Verständnisses erkennen liess.[8]
Angesichts des wachsenden Ausmasses der Flüchtlingswelle, die Ende des Jahres 1914 bereits etwa eine halbe Million Menschen erreichte - davon circa 140'000 allein in Wien,[9] das alsbald für Flüchtlinge gesperrt wurde - und die noch weiter ansteigen sollte, musste die Staatsverwaltung umgehend reagieren. Den eigentlichen Hintergrund für die einsetzende staatliche Fürsorge bildeten freilich nicht allein humanitäre Überlegungen, sondern mehr noch die Bedenken um die unkontrollierte Verbreitung und Verschleppung von Krankheiten und Seuchen,[10] um mögliche Versorgungsengpässe, um