Kriegsende fiel der Ehemann im Krieg. Die Biographin blieb - mittlerweile Mutter von drei Kleinkindern - alleine in Wien zurück. Trotz der Möglichkeit zur Rückkehr nach Südtirol entschied sich Antonia O. für einen Verbleib in Österreich. Heute lebt sie allein in der österreichischen Bundeshauptstadt, in jener Wohnung, welche sie 1940 gemeinsam mit ihrem Ehemann bezogen hatte. Die heute verhärmte Frau ist von ihrem Leben, von dem sie - wie sie meint - «nichts gehabt» hat (1:25:22),[22] enttäuscht, da sie ihre Lebenserwartungen - vor allem den sozialen Aufstieg - nicht verwirklichen hatte können.
In der erzählten Lebensgeschichte von Frau O. dominieren - wie vielfach für Lebensgeschichten von Frauen charakteristisch[23] - die Themenfelder Ehe und Familie. Die Lebenskonstruktion ist in vielen Bereichen an das Geschlecht als soziale Konstruktion gebunden: die Selbstkonstruktion erfolgt in Form einer «Ich-in-Beziehung»-Setzung zu anderen, das heisst der Verknüpfung der eigenen Biographie mit jenen relevanter biographischer Interaktionspartnerinnen, im vorliegenden Fall mit dem allernächsten Familienkreis. Über weite Strecken tritt das Subjekt zudem hinter ein Kollektivsubjekt, das «wir», zurück beziehungsweise verschwindet teilweise aus der Erzählung.
Auf die beiden in unserem Zusammenhang relevanten Themenbereiche, Option und Umsiedlung, kommt die Biographin in den beiden Interviews nur am Rande zu sprechen. Im Gegensatz zum «kollektiven Gedächtnis»[24] Südtirols, dessen zentraler Themenbereich die Option ist, während die Umsiedlung kaum thematisiert wird,25 wird in der biographischen Erzählung von Frau O. die Option weitestgehend ausgeklammert, lediglich in einer Delegation der Optionsentscheidung an den Ehemann bestehend: «mein Mann [...] hat dann unterschrieben für die Familie» (1:1:31 f.). Warum die Familie beziehungsweise der Ehemann für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert hatte, kann nur indirekt aus dem Interview geschlossen werden: die veränderte ideologische Haltung des Ehemannes - er wurde zum Anhänger des Nationalsozialismus - führte zu einem Arbeitsangebot als Beamter in Wien, welche eine Gleichstellung, wenn nicht eine soziale Besserstellung der Familie in Aussicht stellte. Antonia O. klammert sich in ihrer Lebensgeschichte aus dem Entscheidungsprozess der Option aus. Zwar entspricht die Aussage, wonach der «Mann unterschrieben hat», der historischen Realität, wonach Familienoberhäupter für die Familienmitglieder mit optieren mussten. Dennoch würde uns eine oberflächliche Übernahme dieser Darstellung zu