Druck der ökonomischen Verhältnisse zu einem massiven Aufbrechen nationaler, sozialer und kultureller Gegensätze besonders zwischen der Bevölkerung dieser Teile der Habsburgermonarchie einerseits und den Flüchtlingen aus den Ostgebieten andererseits, aber auch zwischen den Bewohnern des südlichen, südöstlichen und nördlichen Alpenraumes.
- Die enorme Dimension des Flüchtlingsproblems stellte die völlig unvorbereitete Verwaltung der Habsburgermonarchie vor eine beinahe unlösbare Aufgabe und erschöpfte die wirtschaftlichen Kapazitäten des Staates bis an den Rand seiner Existenz.
- Die direkte menschliche Konfrontation zwischen den unterschiedlichen Kulturkreisen führte insbesondere bei der einheimischen Bevölkerung der Unterbringungsgebiete mehr zu einer inneren Abgrenzung als zu einer Öffnung gegenüber den Flüchtlingen. Das führte zu einer negativ besetzten Identitätsbildung, die sich bis weit in die Nachkriegszeit in Form von Fremdenfeindlichkeit und verstärktem Antisemitismus auswirken sollte.
- Schliesslich nahmen die Kriegsflüchtlinge die Erfahrungen, die sie während ihrer erzwungenen Kriegsmigration gemacht hatten, mit in ihre neue Heimat und prägten dort als Teil der öffentlichen Meinung in einem nicht zu unterschätzenden Ausmass das Bild von den jeweils anderen Nationen und Völkern Europas. Die Folgen davon sind zum Teil auch heute noch spürbar.[28]
Anmerkungen
1 Zur Diskussion um die Geschichte des Krieges als eine gleichzeitige Geschichte der menschlichen Zivilisation siehe zuletzt John Keegan, Die Kultur des Krieges, Berlin 1995. Vgl. auch Franz Nuscheler, Nirgendwo zu Hause. Menschen auf der Flucht, München 1984, S. 28-30.
2 George F. Kennan, Bismarcks europäisches System in der Auflösung. Die französischrussische Annäherung 1875-1890, Frankfurt 1981, S. 12. Vgl. auch Ernst Schulin, «Die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts», in: Wolfgang Michalka (Flg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung. Wahrnehmung. Analyse. München 1994, S. 3-27.
3 Vgl. Ralf Dahrendorf, Lebenschancen. Anläufe zur sozialen und politischen Theorie. Frankfurt a. M. 1979.
4 Ausführlich über die einzelnen Nationalitäten bzw. zum Gesamtproblem siehe Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. 3,Teil 1 und 2: Die Völker des Reiches, hg. v. Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch, Wien 1980. Zuletzt auch Flelmut Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatszerfall in der Habsburgermonarchie. Österreichische Geschichte 1804-1914, hg. v. Flerwig Wolfram, Wien 1997; Ernst Flanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Österreichische Geschichte 1890-1990, hg. v. Flerwig Wolfram, Wien 1994.