Gleichwohl schrieb Herr Gabriel ihr jeden zweiten Monat; und nur sein besonnener kaufmännischer Stil war schuld, daß seine Sätze kühl klangen. Lola war nicht gestimmt, die Liebe zu fühlen, die hinter den Worten bebte.
„Niemals hat er mich besucht, in all den Jahren!“
„Und wie grausam ist er gegen Mai gewesen! Mai, die weinte und mich festhalten wollte, als der große Schwarze mich forttrug!“
Das ganze phantastische Grausen jener Sturmnacht entstand noch einmal in Lola; und mit der Kinderangst von einst wallte Sehnsucht auf:
„Mai!“
Die Arme ausgestreckt:
„Mai! Mai!“
Ein weißer, glänzender Nebel erschien vor Lolas Augen und, weich darum gelegt, ein Rahmen aus dunklem Haar. Lola wollte Züge hervorlocken: der Nebel blieb leer; er drohte wegzufließen. Sie flüsterte bange Koseworte, hielt in ekstatischer Beschwörung dem Phantom ihrer Mutter die Lippen hin: umsonst. Lolas Kraft war aus und das Bild zerronnen.
Sie ergab sich nicht; sie suchte, mit einem Blick der Not, nach Hilfe umher, nach einem Anhalt — und traf auf eine alte Schreibmappe. „Mais Brief!“ Sie wühlte ihn heraus, legte aufschluchzend ihre Wange in das alte Papier. „Das kommt von Mai!“ Jeder dieser kleinen flüchtigen Buchstaben war ein Geschenk von Mai an Lola. Sie las darüber hin, lange Zeit.